Copied from NZZ Online: Beilagen: Medien und Informatik - 14. Mai 1999
Reference: http://www.nzz.ch/online/01_nzz_aktuell/beilagen/el_medien/01_el_medien.htm
Vor sechs Jahren beschlossen drei ETH-Informatiker, die eben gerade den Doktorhut erworben hatten, die Produktivität aller Programmierer und die Stabilität jeglicher Software zu verbessern sowie der «Software-Krise» ein Ende zu bereiten. Sie gründeten die Firma Oberon Microsystems AG als Spin-Off-Unternehmen des ETH-Instituts für Computersysteme; Niklaus Wirth, bis vor kurzem Professor an diesem Institut, nahm im Verwaltungsrat Einsitz. Hauptprodukt von Oberon Microsystems ist eine Software-Entwicklungs- Umgebung, die einen iterativen Programmierstil in der Art von Smalltalk ohne dessen Schwerfälligkeit, die Leistungsfähigkeit von C/C++ ohne dessen Komplexität und die Benutzerfreundlichkeit von Visual-Basic ohne dessen Beschränktheit verspricht.
Die Entwicklungswerkzeuge von Oberon Microsystems lassen sich in verschiedene Systemwelten - es werden Versionen für Windows und Macintosh angeboten - und in verschiedene Komponentenarchitekturen integrieren. Es gibt etwa einen Übersetzer, mit dessen Hilfe sich OLE-Steuerelemente gemäss dem von Microsoft geschaffenen Common Object Model (COM) erzeugen lassen. Eine mit dem Blackbox Component Builder geschaffene Anwendung kann dem Anwender unter Windows als Container etwa Funktionen von Excel oder des Internet-Explorers zur Verfügung stellen. Der Blackbox Component Builder ist für nichtkommerzielle Anwendungen kostenlos erhältlich.
Oberon Microsystems hat für ihre Produkte eine Reihe von Auszeichnungen erhalten: 1994 wurde der Blackbox Component Builder im Rahmen der Initiative «Technologiestandort Schweiz» zur Präsentation an der Cebit 1994 eingeladen. Der Direct-To-COM-Compiler wurde vom amerikanischen Fachmagazin «Byte» als eines der besten neuen Entwicklungswerkzeuge prämiert. Auch die Referenzenliste des Jungunternehmens ist eindrucksvoll: In den USA benutzt die Nasa seine Produkte, in Deutschland der Siemens-Konzern, hierzulande ABB und Swisscom; ferner lassen grosse schweizerische Versicherungen und Banken sowie Industriebetriebe ihre Mitarbeiter bei Oberon Microsystems ausbilden.
Trotz den vielen Lorbeeren erlebten die Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Entwicklungswerkzeuge nicht den raketenhaften Anstieg, den die Jungunternehmer sich erhofft hatten. Sie mussten mit einiger Ernüchterung feststellen, dass die Software-Industrie einerseits dringend nach produktiveren Methoden für die Entwicklung robuster und zuverlässiger Anwendungsprogramme verlangt, sich aber andererseits gegenüber Innovationen wenig aufgeschlossen zeigt. Sie kamen zur Einsicht, dass der Markt für die vielversprechenden, aber auch anspruchsvollen Techniken des Komponenten-orientierten Programmierens zuerst vorbereitet werden muss. So ergab sich eine Erweiterung der Unternehmenstätigkeit von Oberon Microsystems um den Bereich der Schulung. In diesen Kursen spannt sich die Thematik von der allgemeinen Einführung in die Technologie der Komponentensoftware bis zur detaillierten Präsentation der miteinander konkurrenzierenden Komponentenstandards. In diesem Bereich haben sich die Mitarbeiter von Oberon Microsystems ein umfassendes Fachwissen erworben, das sie im Rahmen von Beratungsaufträgen auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen.
Es gelang den Entwicklern, das Jbed-Betriebssystem - im Gegensatz zu andern Java-Implementation in diesem Bereich - sowohl sehr kompakt als auch sehr schnell zu gestalten. Die Java-Laufzeitumgebung ist bei Jbed kein Zusatz, der nachträglich einem Betriebssystem-Kernel aufgepfropft worden ist, der Kernel selbst ist die virtuelle Maschine. Jbed wird in verschiedenen Varianten angeboten, von denen die leistungsfähigste auch Internet-Standards wie TCP/IP oder HTTP unterstützt und sich somit als äusserst schlanker Internet-Server einsetzen lässt. In der einfachsten Variante gibt sich das System mit acht KByte Festwertspeicher zufrieden, in der Web- Server-Ausführung werden 128 KByte belegt.
Gregor Henger
Neue Zürcher Zeitung, 14. Mai 1999